Bei der Diskussion von dialektischen Widersprüchen stößt man auf wiederkehrende Zusammenhänge, die offensichtlich allgemeingültig sind, weshalb man sie als Gesetzmäßigkeiten bezeichnen kann. Bei Gesetzmäßigkeiten in der Dialektik muss jedoch im Hinterkopf bleiben, dass es sich hier nicht um kausale Zusammenhänge nach dem Muster „wenn … dann…“ handelt. Gesetzmäßigkeiten in der Dialektik beschreiben vielmehr Spezifika im Wechselverhältnis der Seiten eines Gegensatzes. Sie sind genauso dialektisch zu begreifen, wie der Widerspruch selbst.
Dialektik von Teil und Ganzem
Die Kernaussage dieses Zusammenhangs wird gern in den Satz gekleidet, dass das Ganze mehr sei als die Summe seiner Teile. Das ist so wahr, wie es banal ist, denn die Beziehungen zwischen Teil und Ganzem sind unendlich vielfältiger als es dieser Satz ausdrückt. Einige Aspekte sollen kurz umrissen werden. Wir hatten schon mehrfach konstatiert, dass die Welt aus Strukturen besteht. Jede dieser Strukturen besteht aus Strukturelementen respektive Bausteinen. Außerdem sind diese Strukturen auch selbst Bausteine beziehungsweise Bestandteile von größeren, übergeordneten Strukturen. Alle Strukturen auf den verschiedenen Betrachtungsebenen haben bestimmte Eigenschaften, von ihnen gehen spezifische Wirkungen aus. Die Eigenart dieser Wirkungen hängt einerseits von der Anzahl und der Natur ihrer Bestandteile ab und andererseits davon, welcher Art die Verbindungen zwischen den Bestandteilen sind.
Sind die Teile zu einem Ganzen fusioniert, dann haben sie ihre eigenständige Wirkung zugunsten der Wirkung des Ganzen fast völlig aufgegeben. Das Teil ist im Ganzen kaum mehr erkennbar. So sind die Eigenarten der Quarks in der Wirkung der Protonen kaum mehr auszumachen. Auch die Mitochondrien in tierischen Zellen lassen nur noch vermuten, dass sie ein Überbleibsel aus der Einverleibung eigenständiger Einzeller sind. Ein Ganzes kann aber auch aus Teilen bestehen, die ihre Eigenständigkeit weitgehend erhalten haben und nur einen relativ losen Verbund bilden. Wasser ist ein derartiger Verbund. Er besteht aus Wassermolekülen, wobei viele andere Stoffe in diesen Verbund integriert sein können. Jeder dieser Stoffe behält seine Eigenart und trotzdem werden die Art und der Anteil der Beimengungen die Eigenschaften des Wassers als Ganzes beeinflussen. Wasser, indem eine größere Menge Salz gelöst ist, gefriert zum Beispiel bei tieferen Temperaturen als Wasser mit einem geringen Salzgehalt. Da die Bestandteile des Verbunds weitgehend eigenständig bleiben, ist es möglich, dieses Konglomerat wieder aufzulösen. Wasser kann man destillieren und so die Beimengungen entfernen. Bei der dritten Variante sind die Bestandteile zwar ebenfalls ihrem Wesen nach unterschiedlich, ja gegensätzlich, sie wirken jedoch im Verbund derart zusammen, dass eine gegenseitige Anpassung erzwungen wird, in deren Ergebnis ein Ganzes mit neuen Eigenschaften entsteht. Protonen und Elektronen bilden ein derartiges kooperatives Gefüge. Nur gemeinsam bilden sie das qualitativ neue Ganze, das Atom, sie wären jedoch auch allein existenzfähig.
Das durch seine Bestandteile und deren Verbindungen geprägte Ganze ist wiederum Teil einer übergeordneten Struktur. Nehmen wir zur Abwechslung ein etwas anders geartetes Beispiel, in dem Wasser trotzdem eine Rolle spielt. Es soll sich in einer Schale befinden, die in einem Wohnhaus platziert ist. Für das Wasser sind sowohl die Schale als auch das Haus übergeordnete Strukturen. Gar nicht zu reden davon, dass alle miteinander in einer Stadt auf dem Planeten Erde verortet sind, der Teil eines Sonnensystems ist, das zur Milchstraße gehört. Unser Wasser und die Art und Weise seiner Interaktion mit der Luft im Haus haben augenscheinlich nur einen sehr begrenzten Einfluss auf das Sein der übergeordneten Strukturen. Selbst, wenn das Wasser ausliefe, würde das Haus davon kaum Schaden nehmen. Falls allerdings ein Feuer ausbräche, würde nicht nur das Haus abbrennen, wahrscheinlich würde auch die Schale zerspringen, das Wasser würde auslaufen und verdunsten. Das Wasser wiederum hätte, wegen seiner geringen Menge, kaum Einfluss auf den Verlauf des Brandes. Anders wäre es vielleicht, wenn im Haus sehr viele Schalen mit Wasser stünden, gar nicht zu reden davon, dass die Feuerwehr von außen mit großen Mengen Wasser eingreifen könnte. Die Menge, mit denen die Teile im Ganzen vertreten sind, spielt offensichtlich beim Ablauf von Prozessen, die das Ganze betreffen, eine Rolle. Der Brand würde allerdings ganz anders verlaufen, wenn statt des Wassers Benzin oder eine andere explosive Flüssigkeit die Schalen füllte. Das heißt, die Eigenschaften des Stoffes, der Teil eines Ganzen ist, sind bei Prozessen, die in diesem Ganzen ablaufen, ebenfalls von Bedeutung. Das Wasser oder das Benzin sind aber nicht nur Teil der übergeordneten Struktur, also des Hauses, sie sind selbst ebenfalls ein Ganzes, das aus Molekülen besteht, die seine Eigenschaften bestimmen. Benzin ist ein Gemisch aus rund 150 verschiedenen Kohlenwasserstoffen, das darüber hinaus Beimengungen enthalten kann. Die konkrete Zusammensetzung des Benzins hat Auswirkungen auf seine Eigenschaften, darunter auch auf sein Verhalten im Falle eines Brandes. Natürlich können auch Prozesse in den übergeordneten Strukturen einen Einfluss auf unser Haus und auf die Schalen mit Wasser haben. Eine Erdbeben könnte zum Beispiel Verursacher des Brandes gewesen sein.
Wenn alles Teil eines Ganzen ist und selbst auch aus Teilen besteht, dann hängt alles irgendwie mit allem zusammen. Trifft das auch auf die kleinsten Teile und das größte Ganze zu? Das größte Ganze, das Universum, gehört, soweit wir wissen, zu keiner übergeordneten Struktur und die kleinsten Teile, die Energiepartikel oder Quanten, sind nicht aus noch kleineren Teilen zusammengesetzt. Sie bilden die Pole eines Gegensatzes. Auf der einen Seite bedingen sie sich, denn ohne Universum gäbe es keine Energiepartikel und ohne Energiepartikel kein Universum, auf der anderen Seite sind sie jedoch grundverschieden. Nach den Überzeugungen der Dialektik muss es trotzdem Aspekte geben, in denen sie identische Züge aufweisen. Die kleinsten Bausteine, die Energiepartikel, haben keine Struktur in Form noch kleinerer Bausteine. Sie sind durch die Art und Weise beziehungsweise die Form ihrer Bewegung wie auch durch die Intensität der Bewegungen bestimmt. Für die größte Struktur, das Universum, ist seine Expansion charakteristisch, die sich mit wachsender Geschwindigkeit vollzieht. Von den Himmelskörpern gehen jedoch Gravitationskräfte aus, die, da diese nicht gleichmäßig im Universum verteilt sind, nicht überall mit gleicher Stärke wirken. In Konsequenz dessen vollzieht sich auch die Expansion des Universums nicht überall mit gleicher Geschwindigkeit. Das heißt, die Ausdehnungsbewegung hat eine spezifische Form, die durch die Verteilung der sie behindernden Kräfte bestimmt ist. Form und Intensität der Bewegung sind demnach Merkmale, die sowohl die kleinsten Teile wie auch das größte Ganze charakterisieren. In diesem Aspekt sind sie identisch.
Quantität und Qualität
In der Dialektik von Teil und Ganzem spielte das Verhältnis von Quantität und Qualität bereits eine Rolle, denn die Qualität eines Ganzen hängt maßgeblich von der Menge und von den Eigenschaften der in ihm versammelten Teile ab. Beginnen wir unsere Betrachtung wieder mit dem quantitativen Aspekt. Die Bestandteile eines Atoms (Proton, Elektron, Neutron) sind in allen Atomen gleich. Das gilt ebenso für die Art der Beziehung, in der die Teile zueinander stehen. Das Proton stellt eine Fusion von Quarks dar, mehrere Protonen und Neutronen bilden das Konglomerat des Kerns, Elektronen und Protonen bilden ein kooperatives Gefüge. Trozdem weisen die Atome je nach der Anzahl der in ihnen versammelten Teile unterschiedliche physikalische und chemische Eigenschaften auf. Sie wirken unterschiedlich auf ihre Umwelt und sie sind in unterschiedlichem Maße für Wirkungen von außen empfänglich.
Atome, die wir nach der Zahl ihrer Protonen unterscheiden, bezeichnet man als Elemente. Von den Elementen wissen wir, dass sich deren Eigenschaften nicht fortlaufend mit der Menge der versammelten Protonen ändern, eher ist eine gewisse Periodiziät in ihren Eigenschaften zu erkennen. Auf der einen Seite ändern sich die Eigenschaften des Atoms mit jedem Proton, das hinzukommt, auf der anderen Seite scheinen ursprüngliche Eigenschaften bei einer bestimmten Quantität zusätzlicher Protonen wieder auf. Sie können in den Zwischenstufen also nicht „verschwunden“ gewesen sein, offensichtlich wurden sie aber von jeweils anderen Faktoren des Wirkungsgefüges dominiert. Die Abfolge der dominanten Faktoren ist durch die beobachtete Periodizität gekennzeichnet.
Die Qualität eines Ganzen hängt aber nicht nur von der Quantität seiner Teile ab, auch die Eigenschaften der Teile spielen eine Rolle. In einfachen Strukturen, wie den Atomen, sind die Teile immer gleich, weshalb deren Qualität kein Faktor der Diversifizierung sein kann. In größeren respektive komplexeren Strukturen können sich jedoch ganz unterschiedliche Teile zu einem Ganzen gefunden haben, so dass dessen konkrete Zusammensetzung seine Eigenschaften beeinflusst. Schon die Verbindungen der Atome können sehr unterschiedlich sein. Die Qualität des jeweiligen Moleküls hängt dabei sowohl von der Anzahl als auch von den Eigenschaften der beteiligten Atome ab. In noch komplexeren Strukturen, wie dem Wasser, in dem eine Vielzahl von Molekülen mit unterschiedlichen Eigenschaften vereint ist, spielt auch die Art und Weise, wie sich diese Teile verbinden, eine Rolle. Mit anderen Worten, die Komplexität einer Struktur hat Einfluss auf das in ihr herrschende Verhältnis von Quantität und Qualität. Der direkte Zusammenhang, den wir bei den Atomen und ihren Eigenschaften sehen, ist in komplexeren Strukturen durch die Vielzahl der wechselseitigen Einflüsse überlagert.
Schauen wir in diesem Zusammenhang noch einmal kurz auf die Entstehung des Lebens. Damit sich Zellen bilden konnten, musste eine größere Menge (Quantität) komplexer Moleküle, die sich durch besondere Eigenschaften (Qualität) auszeichneten, vorhanden sein. Die Erfüllung dieser Voraussetzung führt allerdings nicht zwangsläufig zur Entstehung von Leben. Weitere Bedingungen müssen in Ort und Zeit hinzukommen, um ein Bedingungsgefüge entstehen zu lassen, dass diese Entwicklung ermöglicht. Der ursprünglich direkte Zusammenhang von Quantität und Qualität wird in einem solchen Bedingungsgefüge relativiert oder, wenn man es philosophischer ausdrücken möchte, er wird in mehrfacher Hinsicht aufgehoben, das heißt, negiert, bewahrt und weiterentwickelt. In der Evolution des Lebens ist noch ein weiterer Aspekt des Verhältnises von Quantität und Qualität von Bedeutung. Die entstandenen Einzeller breiteten sich nämlich nach und nach in großer Artenvielfalt aus. Die von ihnen hervorgebrachte Quantität (viele Einzeller) hatte also einen mengenmäßigen (Anzahl) aber auch einen qualitativen Aspekt (Artenvielfalt). Ihre Vermehrung war darüber hinaus Voraussetzung dafür, dass sich neue Fähigkeiten, wie die eigenständige Bewegung oder die vielfältige Wahrnehmung der Außenwelt, entwickeln konnten. Diese Fähigkeiten trugen ihrerseits zur Diversifizierung der Arten bei. Gleichzeitig fanden sich Einzeller zu Verbünden zusammen, in denen sich eine Arbeitsteilung entwickelte. Diese Verbünde wurden zu Brutstätten mehrzelliger Wesen, die viele Errungenschaften der Einzeller übernahmen. Als Ganzes stellen sie aber etwas qualitativ Neues dar, das wir als Organismus bezeichnen. Mit anderen Worten, jede quantitative Entwicklung hat auch einen qualitativen Aspekt und jede qualitative weist quantitative Züge auf.
Führt jede zusätzliche Quantität zu einer neuen Qualität des Ganzen und kann diese Anhäufung unendlich fortgesetzt werden? Diese Frage führt zu einem weiteren Aspekt im Verhältnis von Quantität und Qualität, dem Maß. Entzieht man Wasser Energie, dann nimmt die Quantität der Bewegungen seiner Bestandteile ab. Abgesehen davon, dass das abgekühlte Wasser für den Badewilligen durchaus eine neue Qualität darstellen kann, die seine Ambitionen im Keim erstickt, bleibt die Struktur des Wassers durch diesen Eingriff doch weitgehend unverändert. Setzt man den Entzug von Energie fort, dann wird allerdings irgendwann ein Punkt (Maß) erreicht, an dem es sich in einer neuen Struktur organisiert. Wasser gefriert und wird zu Eis. Die Anhäufung oder, wie in unserem Beispiel, der Abzug von Quantitäten (Kontinuität) führt an einem bestimmten Punkt zu einer neuen Qualität (Diskontinuität). Ein neuerlicher Entzug von Energie wird keine weiteren Veränderungen der Struktur bewirken. Führt man dem Eis allerdings Energie zu, dann wird es wieder zu Wasser, das irgendwann, weitere Energiezufuhr vorausgesetzt, als Dampf entweicht. Mit anderen Worten, wird bei der Anhäufung oder dem Abzug von Quantitäten ein Maß erreicht, verändert sich die Qualität der betroffenen Struktur. Sie wird stabiler respektive unbeweglicher, wie beim Eis, oder sie wird zerstört, so dass die Teile als Dampf das Weite suchen. Andere Möglichkeiten gibt es nicht, wodurch auch dem Wechselverhältnis von Quantität und Qualität Grenzen gesetzt sind.
Zufall und Notwendigkeit
Nach dem Urknall bildeten sich Atome mit einem, zwei oder auch drei Protonen. In einigen Himmelskörpern entstanden darüber hinaus Bedingungen, die die Bildung von Atomen mit einer größeren Anzahl von Protonen ermöglichten. Der Feststellung, dass die Entstehung größerer Elemente unter bestimmten Bedingungen als gesetzmäßig betrachtet werden kann, wird vor diesem Hintergrund wahrscheinlich kaum jemand widersprechen. Die Behauptung, dass die Entstehung des Lebens, so wie wir es kennen, bei entsprechenden Bedingungen ebenfalls als gesetzmäßig anzusehen ist, würde dagegen wohl nicht unwidersprochen bleiben. Einmal abgesehen davon, dass wir noch nicht alle Schritte auf dem Weg zur Entstehung des Lebens ausreichend erklären können, ist jedoch bereits erkennbar, dass eine Vielzahl von Faktoren an diesem Prozess beteiligt war. Jeder einzelne Schritt, jeder einzelne Zusammenhang wird wahrscheinlich irgendwann auf konkrete Faktoren, auf Wirkungen aus der Umwelt oder Prozesse im Innern der Strukturen, zurückgeführt werden können. Gleichzeitig wird man zeigen, wie die einzelnen Schritte auf vorangegangene Entwicklungen aufbauten. Je mehr solcher Schritte und die sie bewirkenden Faktoren herausgearbeitet werden, umso mehr verlieren sich jedoch die erkannten kausalen Zusammenhänge in einem Meer von Einflussfaktoren. Das heißt, jeder einzelne Schritt basiert auf Wirkung und Anpassung, mithin auf Notwendigkeit, müssen jedoch viele Wirkungen und Wirkungsketten in konkreten Räumen und in spezifischen Zeitabfolgen zusammenkommen, um ein bestimmtes Ergebnis zu ermöglichen, dann geht die kausale Determiniertheit im Zufall, dass tatsächlich alle diese Faktoren in Raum und Zeit zusammentreffen, unter.
Wichtig ist zu verstehen, dass man die wirklichen Zusammenhänge nicht in Zufälle und Notwendigkeiten unterteilen kann. Die Realität liegt in der Bandbreite dazwischen. Zusammenhänge, die sich mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit realisieren, sind ebenso unwirklich, wie Zusammenhänge die eine nullprozentige Chance auf Realisierung haben. Letztere wären schon per Definition keine Zusammenhänge, erstere würden voraussetzen, dass sie selbst außerhalb aller Einflüsse von Dritten, also von übergeordneten Strukturen oder von eigenen Bausteinen, existierten. Die Aufgabe kann also nicht darin bestehen, zwischen Zufall und Notwendigkeit zu unterscheiden, sondern nur darin, die Wahrscheinlichkeit, mit der sich ein beschriebener Zusammenhang realisiert, möglichst genau zu bestimmen.
Hat die unterschiedliche Wahrscheinlichkeit, mit der sich Zusammenhänge realisieren, Bedeutung für unser Leben? Zusammenhänge, die eine hohe Wahrscheinlichkeit der Realisierung haben, lassen sich zielgerichtet beeinflussen und damit nutzen. Im Prinzip basiert alles, was wir als Produktion bezeichnen, auf derartigen Zusammenhängen. Allerdings können auch hier viele Faktoren Einfluss haben, so dass die Aufgabe darin bestehen muss, solcherart Störungen zu minimieren. Damit sind womöglich hohe Aufwendungen verbunden, die wiederum die Einsatzmöglichkeiten des Produkts beschränken. Letztlich muss es also darum gehen, die Anforderungen an das Produkt und die Aufwendungen für seine Herstellung in Einklang zu bringen, was darauf hinausläuft, einerseits die Effektivität der Produktion zu steigern und andererseits die Anforderungen an das Produkt auf eine unerlässliche Größe zu begrenzen. Diese Grenze kann sehr unterschiedlich bemessen sein. Erzeugnisse, die in Reinsträumen hergestellt werden, verlangen von vornherein einen großen Aufwand, da geringste Verschmutzungen das Produkt unbrauchbar machen. Trotzdem gilt auch für Reinsträume, dass man, da eine absolute Reinheit nicht herstellbar ist, einen Weg finden muss, der die Verunreinigungen bei vertretbarem Aufwand in einer tolerierbaren Größe hält. In der Landwirtschaft sehen wir die andere Seite des Problems. Dort sind trotz des Einsatzes modernster Technik immer wieder erhebliche Ertragsschwankungen zu verkraften, nicht zuletzt, weil die Vielzahl der wirkenden Faktoren einer gezielten Einflussnahme Grenzen setzt. Mit anderen Worten, je mehr Faktoren einen Prozess beeinflussen, desto schwieriger ist es, diesen planvoll zu gestalten, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, ein vorherbestimmtes Resultat zu erzielen.
Negation der Negation
Die Negation der Negation beschreibt einen weiteren Aspekt der Bewegung von Widersprüchen im Spannungsfeld von Teil und Ganzem, von Quantität und Qualität, von Zufall und Notwendigkeit. Sie spielt übrigens auch in der Mathematik eine Rolle, denn diese lehrt, plus mal minus ist minus, mal minus ist plus. Die Negation eines bestimmten Pluswerts ergibt dessen Minuswert, wird dieser Minuswert negiert, erscheint der Pluswert wieder auf. Die quantitativen Größen bleiben bei diesen Operationen erhalten, sie erfahren jedoch eine jeweils andere, eine gegensätzliche Bewertung. Durch die Negation der Negation wird die ursprüngliche Bewertung wiederhergestellt. Da sich die Mathematik mit der quantitativen Seite von Zusammenhängen beschäftigt, ist diese Sicht völlig ausreichend. Schaut man auf die qualitative Seite des Zusammenhangs, werden jedoch weitere Aspekte deutlich. Nehmen wir noch einmal das Wasser. Wird einer Wasserpfütze Energie in Form von Sonnenlicht zugeführt, verstärkt sich die Bewegung der sie bildenden Moleküle. Irgendwann werden sie als Wasserdampf, mithin als Gas, entweichen. Der flüssige Zustand wird negiert. Steigt der Wasserdampf in höhere Schichten der Athmosphäre auf, wird den Wassermolekülen, da es dort kalt ist, Energie entzogen. Es bilden sich Wolken, bis es dann regnet und neue Pfützen entstehen. Negation der Negation. Ist eine dieser neuen Pfützen mit der alten identisch? Offensichtlich nicht. Weder die Menge der Wassermoleküle noch die Beimengungen anderer Molekülarten in dieser konkreten Pfütze entsprechen dem Vorgänger. Das heißt, die Negation der Negation stellt zwar den ursprünglichen Zustand wieder her, die dabei entstehenden Strukturen sind jedoch nicht mit den Ausgangsstrukturen identisch, sie haben im Verlauf der Wandlungsprozesse Veränderungen erfahren.
Ein Gegensatz besteht aus zwei sich ausschließenden Seiten, die sich gleichzeitig gegenseitig beeinflussen. In unserem Beispiel ging es um den Gegensatz von Struktur (Eis, Wasser, Dampf) und Bewegung (Energie). Wird dem Wasser Energie entzogen geht seine Struktur in ein relativ starres Kristallgitter über. Im Verhältnis von Struktur und Bewegung ist nun die Struktur dominant. Der Wasserdampf weist hingegen kaum eine erkennbare Struktur auf, die Bewegungen seiner Teile bestimmen sein Wesen. So gesehen, ist der Dampf die vollständige Negation des Eises. Zwischen den Polen liegt jedoch eine große Vielfalt von Erscheinungen, denn die Übergänge sind im wahrsten Sinne des Wortes fließend. Will man einen Zusammenhang richtig erfassen, muss man also sowohl die Pole und deren Ausschließlichkeit als auch die Vielfalt der Übergänge untersuchen.
Bei der Betrachtung des Wechselverhältnisses von Quantität und Qualität hatten wir festgestellt, dass auch die Komplexität des untersuchten Gegensatzes eine Rolle spielt. Das gilt auch in Bezug auf die Negation der Negation. Wenn in der Mathematik „+ 6“ meinen kann, dass sechs Schwerter vorhanden sind oder hinzukommen, dann drückt „-6“ aus, dass sechs Schwerter fehlen oder weggenommen werden. Es gilt entweder das eine oder das andere. Zwischenschritte im Sinne eines Veränderungsprozesses sind nicht vorgesehen. Anders sah es aus, als wir das Verhältnis von Struktur und Bewegung bei den unterschiedlichen Aggregatzuständen des Wassers betrachteten. Dort war die Menge der zugeführten oder abgezogenen Energie ausschlaggebend für den jeweiligen Zustand, so dass die Negation zu einem Prozess mit Übergängen wurde. Dieser Prozess wird beim Wasser von relativ wenigen Faktoren beeinflusst, so dass die Vielfalt der Übergänge überschaubar bleibt. In den meisten Fällen reicht die Messung der Temperatur aus, um zu erfahren, ob sich der Zustand des Wassers eher der stabilen Struktur des Eises oder dem des chaotischen Dampfs zuneigt.
Je mehr Teile zu einem Ganzen gehören, je differenzierter und komplexer dieses Ganze sowohl hinsichtlich seiner Bestandteile als auch hinsichtlich der in ihm vorhandenen Verbindungen wird, desto vielgestaltiger werden auch die Zusammenhänge in diesem Ganzen. Das hat zur Folge, dass in so komplexen Erscheinungenden wie den menschlichen Gesellschaften kausale Zusammenhänge in einem Meer von Faktoren untergehen können und Notwendigkeiten zu Wahrscheinlichkeiten werden. Vorhersagen, wann ein Maß erreicht wird, an dem ein qualitativer Umbruch in der Entwicklung der Gesellschaft erfolgt, werden unter diesen Voraussetzungen nahezu unmöglich. Die Vielzahl der wirkenden Faktoren lässt den Zeitpunkt eines Umschwungs, trotz seiner vielleicht schon erkennbaren Notwendigkeit, zufällig werden. Selbst in der Rückschau ist der genaue Punkt qualitativer Veränderungen oft nur schwer zu bestimmen, da mit der Negation die vorangegangene Entwicklung nicht ausgelöscht wird, sondern sich lediglich das Primat der weiteren Entwicklung ändert. Das heißt, die Errungenschaften der vorangegangenen Periode werden nicht „abgeschafft“, sondern unter anderem Vorzeichen weiterentwickelt. Ebenso stellt die Negation der Negation nicht den Urzustand wieder her, vielmehr wird sie eine neue Qualität der Entwicklung unter wiederum veränderten Vorzeichen einleiten.
zuletzt geändert: 03.12.2019